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Somebody that you used to know

Seit Jahrzehnten habe ich die gleiche Frisur, wobei der Begriff „Frisur“ ja eigentlich ein Mindestmaß an Struktur suggeriert. Aber wirre einzelne Haarsträhnen wurden ihrer Aufgabe zusehends weniger gerecht, durch strategische Positionierung auf der zerfurchten Stirnlandschaft die Ausfälle in der Kompanie „Deckhaar“ zu kaschieren. Und zwei vegetationslose Schneisen – Ausbreitungsgebiet Hohe Stirn Richtung Hochplateau –  wurden durch potemkinsche Dörfer aus Resthaar zu offensichtlich nur noch scheinbesiedelt.

Ich sollte langsam alt genug sein, um zu den sukzessiven, strukturellen Veränderungen meines Körpers zu stehen. Sonst ende ich irgendwann als älterer Herr, der sich seine drei letzten Haare als unfreiwillige Lorbeerkranz-Parodie um das greise Haupt windet und sich dabei die Blöße gibt, dass jeder dennoch seine Blöße sieht und zusätzlich noch seine Unfähigkeit offenbar wird, die Faktizität seines Alterns anzunehmen.

 

Also fahre ich jetzt zum Barbershop; aufgeregt, als steht mir eine Abschlussprüfung bevor. Warum? Zum einen, weil die Gewohnheit ausreicht, um etwas zur Norm zu erheben. Egal, ob ich mich optisch verbessere oder lediglich ehrlicher mein Haupt zur Schule trage, ab morgen sieht man nicht mehr das Erwartbare und das sorgt für Aufmerksamkeit und Irritation. Es wird einigen Menschen nicht gefallen, weil es ungewohnt ist und vielleicht auch, weil ich mich dadurch zu meinem Nachteil verändert habe. Aber auch hier gilt: Wieso ist es mir wichtig, ob irgendeinem Kollegen oder Schüler mein neues Aussehen gefällt? Wenn ich gute Gründe für meine Entscheidung habe, sollte es mir egal sein, ob andere meine Gründe oder das Resultat bejahen oder ablehnen. Ich hänge immer noch viel zu stark am Tropf der Anerkennung der anonymen Anderen und das ärgert mich. Ich kann akzeptieren, dass ich in bestimmten Bereichen anerkennungsbedürftig bin. Aus dieser conditio humana gibt es wohl kein Entrinnen. Aber ich weigere mich, dem Taubert in mir nachzugeben, der am liebsten alles tun möchte, um von so vielen Menschen wie möglich gemocht zu werden; dem Taubert, der ständig die Anerkennungssumme maximieren möchte. Diese subjektbezogene Form eines dysfunktionalen Anerkennungs-Utilitarismus lehne ich ab! Ein Zeichen für diese Haltung ist zum Beispiel der letzte völlig unnötige Klugscheißersatz. Ich hatte gerade Lust, mich genauso auszudrücken. Also Scheiß drauf! Hier wollte ich jetzt gerade spontan vulgär werden. Geht doch! Und jetzt fahre ich zu meiner Beschneidung. 

 

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Nach meiner Verwandlung (von der Schabe in Gregor Samsa?) sagte mein ausländischer Enthaarungskünstler zu mir, jetzt würde ich aussehen wie ein Pole. Einen Bruchteil einer Sekunde habe ich das tatsächlich als Beleidigung empfunden. Da ist man vermeintlich überhaupt kein Rassist und muss dann feststellen, dass man wohl doch mehr gesellschaftliche Schadstoffe eingeatmet hat als einem lieb ist. Aber ich werde den kleinen Rassisten in mir jetzt dadurch bekämpfen, dass ich einfach „Ja“ sage zu meiner neuen slawischen Optik.

 

Polak we mnie odnalazł swoją ojczyznę.

Klaudiusz Taubercik

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